Ein spektakuläres Coming out hatte ich nie. Irgendwie war mir zu Beginn meiner Pubertät klar. daß ich anderen Jungs nachschaute und Mädchen eher uninteressant waren. Entsprechend geschah es, daß ich mich mit 16 mit einem netten Mädchen einließ, ohne was dabei zu denken. Es war eher so, daß sie mich eroberte. Mit meinem Schwulsein hatte das irgendwie gar nichts zu tun und ich dachte mir auch nix dabei. Später, als wir 19 waren, bekam sie durch einen blöden Zufall mit, daß ich einen Quicky mit einem Kerl gehabt hatte, und seitdem bin ich ihr gegenüber geoutet.

 

Nun sind wir schon seid 34 Jahren zusammen und wollen das auch noch weiterhin bleiben.

 

Wie kann das sein? Das fragen wir uns auch immer wieder. Ich bin ihr gegenüber weitgehend offen, Details meiner wenigen schwulen Erlebnisse erzähle ich ihr nicht, wohl aber, daß da welche sind. Es ist nicht immer einfach, die Emotionen gehen immer noch rauf und runter. Wir streiten uns oft und haben viele Reibungspunkte: Aber vielleicht gerade deshalb sind wir schon so lange zusammen, obwohl wir uns oft als Fossile fühlen, fast alle unsere Freunde und Bekannte sind schon geschieden.

 

Meine Frau versucht, meine Schwulität als einen wichtigen Bestandteil von mir zu akzeptieren, toll findet sie es natürlich nicht. Lange Zeit waren wohl auch heftige Verlustängste dabei, denn sie meinte, gegen einen Supermann, der mir alles Körperliche und vielleicht noch mehr bietet, was sie mir nie geben konnte, könne sie unsere Beziehung nicht verteidigen. Auch nach diesen über 30 Jahren sind diese Ängste noch präsent. Ob sie berechtigt sind, kann ich so nicht bestätigen oder verneinen: Das ist mein Problem in unserer Beziehung, daß ich nie um sie kämpfen mußte, meine Liebe nie unter Beweis stellen mußte.

 

Es gab in den Jahren einige wenige Männer, mit denen ich eine Art von Beziehung aufbauen konnte. Das waren dann besonders haarte Zeiten, weil ich als Familienvater gefragt war, in der Bank gefordert war und dann noch obendrein einen Geliebten hatte. Solange es Fernbeziehungen waren, war es sogar „praktisch“, weil es nicht zur Debatte stand, sich jeden Abend zu sehen. Aber die Beziehungen in Frankfurt waren sehr schwierig, weil sie stark an meiner Zeit und meiner Präsenz zehrten. Auch bei aller Offenheit von Anfang an und klarer Prioritätensetzung zugunsten der Familie waren besonders die schwulen Freunde nach wenigen Wochen frustriert, mch teilen zu müssen und nicht ganz für sich zu habe. Einer kämpfte wie ein Löwe, mit allen Tricks und ich liebte ihn (auch dafür). Doch nach vier Monaten siegte meine Ratio über Emotion und Schwanz und ich schoß ihm in die Füße. Irrwitzzigerweise war in diesen Monaten die Beziehung zwischen meiner Frau und mir um ein etliches enger geworden. Vielleicht hatte diese Beziehung sie und unser eingeschlafen-normales Eheleben so durchgeschüttelt, daß wir durch die Krise wieder zueinander fanden.

 

Ich erzähle offen, wenn ich zu der Vätergruppe gehe, sie weiß auch, daß ich danach gern in ein Lederlokal ging, sie weiß auch, daß es Darkrooms und Saunen gibt, die mir nicht völlig fremd sind. Aber keine Details und das soll auch so bleiben.

 

So ergab sich mein Leben eigentlich immer irgendwie, als daß ich bewußt entschieden hätte. Nur ein oder zwei wichtige Entscheidungen waren wirklich begründet und verantwortet durch mich entschieden, oft nahm ich die Verhältnisse und Vorgaben einfach an. Ich bleibe meist passiv und lasse mich steuern. So im Beruf, aber auch eben in meiner Beziehung. Im Beruf war das durchaus erfolgreich, in der Beziehung hat es mir immer die Auseinandersetzung um eigene Ziele erspart. Wir bekamen drei Kinder, bauten ein Haus, meine Frau studierte   mehrfach und arbeitet nun. Auch hier paßt es wieder undramatisch, weil sie gerne arbeitet und ich als leitender Banker mit 47 ausgemustert wurde und seitdem zwar vieles wichtiges, schönes und auch gesellschaftlich Sinnvolles tue, aber kaum bis kein Geld verdiene.

 

Mittlerweile kommen mir Zweifel, ob ich, ob wir einen Trennungssturm einigermaßen unbeschadet überlebt hätten, wenn denn einer gekommen wäre.   Heute denke ich oft daran, ob ich was verpaßt habe. Natürlich immer dann, wenn ich die schönen Liebesgeschichten und Verliebtheiten meiner schwulen Freunde und Bekannten höre. Und die Trennungen und die Einsamkeit habe ich auch verpaßt. Jedoch: Heute bereue ich nicht, was ich tat, sondern vieles, was ich nicht tat.

 

So leben wir weiter, nicht in inniger Liebe, sondern in alter Vertrautheit, sie hat ihre dominanten Macken, ich meine gelegentlichen schwulen Abenteuer.   Das Leben geht weiter.