Mein schwules Leben fing erst mit 39 Jahren an. Bis dahin lebte ich im ländlichen, konservativen Umfeld, immer darauf bedacht, nicht aufzufallen und so zu sein wie alle anderen. Dass ich mir gerne Bilder von nackten Männern anschaute, brachte mich noch lange nicht auf den Gedanken, schwul zu sein. Oder doch? 

 

Zumindest wies ich jeden Gedanken daran von mir. So wie die Typen in „Ein Käfig voller Narren“ war ich ja wirklich nicht. So lebte ich lange Zeit alleine. Meine Annäherungsversuche bei Frauen waren nie sehr konsequent und verliefen schnell im Sande. Das einzige was zurückblieb war das Gefühl, „wieder keine abbekommen zu haben“. 
Schließlich schaffte ich es dann doch bei einer Frau, die ich schon lange 
kannte. Wir waren uns schon immer sympathisch. 
Es war eine sehr schöne Zeit und ich dachte, alles ist in Ordnung. Unsere Tochter wurde geboren und ich war glücklich.

 

Aber immer war da eine Antriebslosigkeit meinerseits in der Beziehung, die meine Frau sicher spürte. So kam es zu einer schmerzlichen Trennung. Allerdings versuchten wir uns weiter zu respektieren und vielleicht eine weitere Chance zu geben. Für unsere Tochter (damals 4J.), die bei ihrer Mutter blieb, und weil wir nach wie vor miteinander gut reden konnten, sahen wir uns fast jedes Wochenende und waren nach außen hin sogar noch die Familie.

 

Im laufe der Jahre und des Alleinseins wurde meine Suche nach Männern im Internet immer stärker. Eines Tages, im richtigen Chat angekommen, ging es dann sehr schnell. 
Zum ersten Mal im Chat über die eigenen Gefühle gesprochen und endlich auch dazu bekannt, folgte das erste Date, bei dem mir sehr schnell klar wurde, wo ich hingehöre. 
In der folgenden Zeit durchlebte ich eine emotionale Achterbahn. 
Vielen Glücksgefühlen und aufbauenden Gesprächen mit anderen schwulen Vätern folgte die Ernüchterung im Alltag. 
Nach einem halben Jahr lernte ich meinen ersten richtigen Freund kennen. Aus der Freundschaft wuchs eine Beziehung. Nur die ständige Heimlichtuerei wurde zur immer größeren Belastung. 
So wollte ich nicht leben. Immer lügen – nein. 
Es ging mir in dieser Zeit schlecht, ich wurde immer wieder krank, verlor ca. 10 Kilo Gewicht. 
So trieb mich mein Freund, eher unbewusst, voran, bis ich eines Tages mein bisschen Mut zusammenraffte und meiner Frau alles sagte. Ich saß eine Stunde vor ihr, bis ich ein Wort herausbekam… 
Aber das war eine Erleichterung. Es fiel ein ganzer Berg von mir ab. 
Und dann kam die zweite Erleichterung direkt hinterher. Sie zeigte Verständnis.

 

Sicher, wir hatten uns ja bereits getrennt und sie war deshalb nicht mehr emotional so betroffen. Aber ich hatte auch Angst, den Kontakt zur Tochter zu verlieren. 
Nach einem weiteren Vierteljahr und der Teilnahme an „Zwischen den Welten“ im Waldschlösschen hatte ich soviel Selbstvertrauen gewonnnen, dass ich mich in der Familie und bei meinem Schulfreund outete. 
Von da an ging es bergauf, zumal ich keine einzige negative Reaktion erfuhr. Selbst meine Eltern, die erschrocken und mit Skepsis reagierten, verloren diese schnell, nachdem sie meinen Freund kennen lernten. 
Alles ordnete sich. Mit meiner Frau verstehe ich mich bestens auch meine Tochter kommt gut mit meinem Freund zurecht und freut sich, wenn wir uns alle treffen.

 

Das alles hätte ich mir nie vorstellen können, auch wenn es mir andere Väter ähnlich erzählten.

 

Auch in der Firma gibt es keinerlei Probleme. Das Verhältnis untereinander hat sich ganz im Gegenteil stark verbessert. Wo die KollegInnen früher unsicher waren, was ich als stark verschlossener Typ für Geheimnisse mit mir herumtrage, waren sie dann erleichtert, als sich alles aufklärte.

 

So lebe ich jetzt, nach 2 Jahren, viel zufriedener und jeder Tag bringt mich ein Stück weiter auf dem richtigen Weg.